… eine Frau, in deren Armen er eines Tages sterben wollte. Als er Emma zum ersten Mal traf, er besuchte ihre Eltern in Schaffhausen, da war sie vierzehn. Und doch verriet er später am Abend seinem Studienfreund erschüttert, er sei heute der Frau begegnet, die er eines Tages heiraten werde. Weißt du, wie er sie eroberte, heiratete und das Leben mit ihr teilte, über fünfzig Jahre?
Wenn mich die Melancholie überfällt - Schwermut begleitete mein Leben -, erinnere ich mich an diese Romanze und frage mich, an wessen Seite ich hätte sterben wollen? Erst das Lebewohl verleiht der Liebe Vollendung. Es beglaubigt ein erfülltes Leben, ist keine Tragödie. Meine Liebe blieb unvollendet, ich starb an der Seite meines Mörders.
Der Mann, der sich so hingebungsvoll um seine Emma bemühte, hieß C. G. Jung. Sechs Jahre wartete er, bevor er Schaffhausen, Kantonshauptstadt und einen Tagesmarsch vom Bodensee entfernt, erneut bereiste. Man schrieb den November 1902.
Jung war ein hoffnungsvoller Assistenzarzt, doch noch ohne Meriten und verschlossen und schüchtern. Da gab sie ihm einen Korb. Freilich warb er unverdrossen weiter und die Zeit ließ die junge Frau wanken.
"Carl Gustav", sprach sie eines Nachmittags.
"Nenn mich C. G. Alle Welt tut das, bis auf meine Mutter."
"C. G.", sprach sie, "ich möchte, dass du mir ein Maiglöckchen pflückst - als Beweis deiner Liebe. Sie wachsen nicht weit von hier, am Rheinfall."
Jung war keineswegs erfreut, wie sie gehofft hatte. Sein Verstand sezierte jedes ihrer Worte: "Liebe lässt sich nicht beweisen. Und erst recht nicht mit einem Gewächs."
Doch gegen ihren Charme konnte seine Sachlichkeit nicht bestehen: "Allein diese Blüte ebnet dir den Weg in mein Herz."
"Du knüpfst deine Zukunft an eine alberne Spielerei?"
"Entscheidend ist nicht ob, sondern wie du es schaffst!", lautete ihre rätselhafte Antwort.
"Nun gut", er lehnte sich entspannt zurück und schlürfte siegesgewiss an seinem Hagebuttentee. Emmas Mutter hatte das Meißener Teeservice aufgeboten, welches sie behütete wie ihren Augapfel. Sie war eine alte Freundin seines Vaters und C. G. war in ihrem Haus willkommen, wie auch sein Werben um ihre Tochter.
Emma schaute ihn erwartungsvoll an. Das beunruhigte den jungen Mann. "Wie? Jetzt?"
"Natürlich jetzt", war die glockenhelle Antwort, "oder musst du erst einen Plan schmieden?"
Seine Brauen krochen aufeinander zu. Kein Studium der Psychologie half dabei, die Frauen zu verstehen. Zögerlich erhob er sich. Sie folgte ihm.
"Du willst mich begleiten?", er wurde ungehalten. "Hast du Angst, ich könnte dir ein Maiglöckchen vom Laden an der Ecke besorgen?"
Jetzt lachte sie ihn schonungslos aus, als hätte er etwas völlig Illusorisches gesagt: "Ich will sehen, wie du es vollbringst."
Eine Stunde später standen die beiden am Fuße des Rheinfalls. Der bedeutendste Strom Europas ergoss sich hier fast hundert Fuß in die Tiefe. Jeder Atemzug, den sie seit ihrer Geburt getan hatten, ließ vierhundert Tonnen Wasser die Felsen hinabdonnern; und es würde weiter fallen, weit über ihren letzten Atemzug hinaus. Die Wassermassen und das Getöse brachten C. G. jedes Mal zum Verstummen. Emma ließ ihn kurz gewähren, dann führte sie ihn zielstrebig den Hügel hinauf.
"Und wo finde ich nun deine Maiglöckchen?"
"Hinter den Wassern."
Verstimmt schüttelte er den Kopf: "Da können unmöglich Blumen gedeihen. Du hältst mich zum Narren!"
Wie wenig Verständnis er doch für diesen einzigartigen Dienst aufbrachte: "Folge dem Weg! Er führt dich hinter den Wasserfall."
"Ich sehe keinen Weg! Hier sind Felsen und Wiesen, ein denkbar ungeeigneter Ort für Maiglöckchen." Seine Stimme hatte sich erhoben.
Sie überging seinen Zorn. Für ihren Erfolg war er unbedeutend: "Der Weg liegt vor dir, er hat sich nur deinem Blick entzogen."
Ohne ein Wort wandte Jung sich um und stapfte den angedeuteten Trampelpfad entlang. Nicht nur Menschen beschritten ihn, sogar Aale hatten sich immer wieder emporgewunden. Mit zäher Sturheit umgingen die jungen Steigaale in den klammen Morgenstunden den Wasserfall über Land und gelangten so in die Lebensräume ihrer Ahnen.
Emma ließ ihm etwas Vorsprung. Sollte seine Verbitterung andere Ziele finden. Sie nahm noch einen tiefen Zug der klaren Herbstluft, denn bald würde es dunkel und stickig werden.
In ihrem Rücken vernahm sie regelmäßige, stapfende Geräusche und blickte sich um: Eine hagere, vermummte Gestalt schritt da durch das Gras, schaute nicht auf und kam doch immer näher. Emma beeilte sich zu ihrem Begleiter aufzuschließen: "Wer ist der Bursche hinter uns?"
Jung schaute nicht zurück: "Das ist mein Träger. Er trägt die Lasten, die mir selbst zu schwer sind."
In der Tat hatte sich der Vermummte ein weißes, längliches Bündel auf die Schulter gepackt; es war mit einem Strick zusammengehalten. Die andere Hand spielte mit einem Zündbandfeuerzeug. Der Fremde hatte die Kapuze tief über das Gesicht geschoben; staubgrau gespeckt war sein Mantel, so überlistete er den Schmutz. Emma hätte nicht zu sagen vermocht, ob Mann oder Weib in ihm steckten, doch war die Gestalt hochgewachsen, wie auch C. G.
Das Paar erreichte eine mannshohe Öffnung. Sie führte geradewegs in den Felsen hinein, von dem sich der Rheinfall stürzte. Der Träger wartete in einigem Abstand. Jung kratzte sich am Kopf und besah sich den Eingang zu der Höhle. Sie schien natürlichen Ursprungs.
"Du willst mich wirklich dort hineinbegleiten? Das wird dein Kleid ruinieren!"
Wieder ihr helles Lachen: "Ruiniere du nicht unsere Ehe und ich werde das Kleid verschmerzen. Ich weiß seit Langem, was mich erwartet."
Sie vollführte eine einladende Geste, der er grimmig folgte. Dunkelheit empfing ihn. Sie blieb dicht an seinen Fersen, einen Zipfel seiner Jacke in Händen.
Ein Schnippen und ein sanfter Lichtschein erhellte die Höhle. Der Geruch von Benzin stach in ihre Nasen: Jungs Träger hatte sein Feuerzeug entzündet. Emma drängte sich näher, der Unbekannte war ihr unheimlich.
"Ich bin hier gewesen, vor langer Zeit", er vermochte nicht zu sagen woher, aber C. G. kannte die Höhle. Der Gang war schmal, gerade breit genug für einen Menschen. Mehrmals musste er sich ducken. Tautropfen liefen seinen Nacken hinab. Sicherlich war kein Ort der Welt weiter entfernt vom nächsten Maiglöckchen.
Sie erreichten ein Gittertor.
"Der Weg ist versperrt. Kein Zutritt."
"Willst du schon aufgeben? So sehr verzehrst du dich nach mir?"
Mürrisch griff er nach den verrosteten Eisenstäben und rüttelte kräftig. Sie tat es ihm gleich, doch einziger Erfolg war ein Eisenspan in ihrem Zeigefinger. Es blutete.
Im Hintergrund klimperte es. Das Feuerzeug immer noch in der Rechten, hatte der Träger sein Bündel entrollt, wobei ihm der Inhalt vor die Füße gefallen war. Er streckte seinen langen, knochigen Arm aus und hielt Emma das weiße Leinentuch hin. Sie näherte sich ihm zögerlich und griff danach, jede weitere Berührung vermeidend.
Während sie sich den Stoff um den Finger wickelte, erkannte Emma, was der Fremde in dem Bündel mit sich getragen hatte: Eine Brechstange.
"Wie passend!", war ihr einziger Kommentar.
Der Träger wich zurück und wartete.
Emma nahm mit der verbleibenden Hand die Eisenstange auf und reichte sie ihrem heiratswilligen Begleiter. Jung war kräftig genug, um den Eisengittern zuzusetzen. Nach wenigen Minuten und ein paar Flüchen war das Hindernis überwunden. Sie quetschten sich zwischen den verbliebenen Stangen hindurch. Das Brausen des Wasserfalls schwoll wieder an.
Noch eine Biegung, dann traf sie Helligkeit. Die Höhle endete vor einer Wand aus Wasser, durch die sich vereinzelt Lichtstrahlen zwängten. Zehn Meter tiefer traf das Wasser mit Getöse auf sein Flussbett, doch hier oben übertönten ihre Stimmen den Krach.
Von hinten erklangen die Schritte des Trägers, der sich ebenfalls durch die Öffnung gezwängt hatte. Beharrlich hielt er sich im Hintergrund, das erloschene Feuerzeug ruhte willfährig in seiner Rechten.
"Da hast du dein Maiglöckchen", Jungs Stimme war tonlos. Eine Handbreit neben dem tosenden Wasserfall wuchs ein Strauch mit Dolden voller schneeweißer Blüten.
Im Winter!
C. G. Jung beugte sich hinab und pflückte eine Blütentraube. Er besah sich ihre Kelche genau und roch ihr süßes Aroma, bevor er die Blumen, schlicht und unromantisch, an seine Angebetete weiterreichte. Hinter seiner Stirn ratterten die Maschinen.
Ihre Stimme sickerte in seine Überlegungen: "Ich bin stolz auf dich, mein Liebster. Du hast deine Aufgabe mit Bravour erfüllt. Lass uns heimkehren und unsere Verlobung verkünden."
Jung hielt seinen Traum in Händen - und zögerte. Dieser Ort barg ein Geheimnis. Er verhieß größeren Segen als schlichtes Familienglück. C. G. blickte sich um: Am Eingang wartete noch immer schweigend sein Träger. Der Blick des Seelendoktors wanderte zu dem Maiglöckchen in Emmas Hand und endete in den tosenden Wassern.
"Nein!"
Seine Schärfe unterband jeden Einspruch. Er griff nach ihrem Arm und zog sie in Richtung des Rheinfalls.
Anfangs ließ Emma ihn gewähren, dann wuchsen ihre Augen, ihr Schritt stockte und sie hob abwehrend die Hände: "C. G.! Ich will nicht hindurch. Du kannst mich nicht zwingen!"
Er zögerte. Sie hatte recht. Das vermochte er nicht.
Überlegenheit kehrte in ihr Gesicht zurück. Das versetzte ihn in Wut. Die Reste der Blütenblätter fielen auf den kargen Steinboden.
Er selbst vermochte es nicht - aber ein anderer!
Jung ließ ab von ihr und wandte sich seinem dunklen Begleiter zu - zum ersten Mal im Leben: "Sag mir, Knochenmann, was hast du noch Hilfreiches mitgebracht?", sein Blick bohrte sich durch die Kapuze des anderen.
Der zog schweigend ein Grablicht aus seinem Mantel hervor, eine winzige Laterne mit einer Kerze darin. Die Hand mit dem Feuerzeug zitterte unsicher.
Jung schluckte einen Kloß hinunter. Ein weitreichender Entschluss: "Wir werden es nicht brauchen."
Die Gestalt nickte, packte Grablicht und Feuerzeug geschwind zurück und senkte demütig das Haupt.
"Ergreife sie und folge mir!", mit diesen Worten drehte Jung sich um und sprang mit aller Kraft in die Wand aus Wasser. Der Rhein verschluckte seinen Anblick.
Jungs Träger nahm den Strick zur Hand, der bis eben noch sein Bündel zusammengehalten hatte, und näherte sich Emma. Sie wich erschrocken zurück, aber es gab kein Entkommen. Sie wehrte sich mit Tritten und Schlägen aber letztlich erwischte er ihre Handgelenke und band sie zusammen. Derart verschnürt erlahmte ihr Widerstand rasch. Er nahm die Frau auf und schritt auf den Wasserfall zu.
Sie beruhigte sich: "Sag mir, Fremder. Wer bist du?"
"Das Böse", lautete die Antwort.
"Du sprichst? Ich habe keine Vorstellung vom Bösen."
Die Stimme des Trägers wurde weicher: "Aber ich habe eine Vorstellung von dir. Und nur du verfügst über Sinne, meiner Stimme zu lauschen." Mit diesen Worten sprang er mit ihr durch den Fluss.
Sie wurden nicht herabgezogen. Es war nicht der Rheinfall, durch den sie fielen - nur eine dünne Wand aus Wasser, welche sie in einen Gemüsegarten führte - mitten in den Frühling.
Ihr Träger landete in einem schmalen Bachbett und ließ sie ans Ufer. Sie schüttelte sich die Feuchte aus den Haaren; eine Bewegung befreite sie von ihren Fesseln. Der Bach schlängelte sich durch einen Garten mit Rhabarber, Ranken von rotblühenden Kletterbohnen und Feldsalat. Ein Kiesbett entlanglaufend mündete er hundert Schritte entfernt in einen langgezogenen See mitten in den Bergen. Sie kannte das Gewässer aus Kindheits-Erinnerungen: der Zürichsee. Er lag fast hundert Kilometer entfernt vom Bodensee. Und wie im Frühling blühten die Narzissen.
C. G. stand nur wenige Schritte von ihr entfernt. Das Wasser tropfte von seinen Kleidern, aber er starrte regungslos auf einen Lehnstuhl, der mitten im Garten stand und ihnen die Kehrseite zuwandte. Dahinter ließ sich eine Person vermuten, von der klopfende und schabende Geräusche ausgingen.
"Willst du nicht zu ihm, mein Liebster?"
Er schüttelte vehement den Kopf: "Seinen Anblick vermag ich nicht zu ertragen!"
Sie nahm ihn bei der Hand und er ließ sich mitführen: "Lange genug warst du feige. Ein halbes Leben ist bereits vergeudet, dein Boot leckt, aber noch ist Zeit. Blicke dem Mann in die Augen und führe das sinkende Schiff zurück in den Heimathafen."
Als sie um den Lehnstuhl herumschritten, wandte ihnen eine gebeugte Gestalt den Kopf zu und stellte das Hämmern ein. Jung sah in sein eigenes Gesicht, es schaute mehr zeitlos denn alt, doch voller Gleichmut.
Mit einem Meißel hatte der Alte einen Stein von einem halben Meter Kantenlänge bearbeitet.
Der greise C. G. Jung erhob sich und begrüßte sein jüngeres Ich: "Treffen wir uns endlich wieder."
Der Jüngere verstand; es war ein Wiedersehen: "Ich kenne dich, wie ich auch die Höhle kannte, die uns hierher führte. Du warst der Begleiter meiner Jugend. Der Weise, Immerwährende, der Gott geschaut hat. Bis eben hatte ich dich vergessen."
Ein gütiges Nicken: "Ich bin das Ewige in dir, das dich in die Welt sandte. Wir kannten uns, aber verstanden hast du mich nie. Als du heranwuchsest, der Kindheit entsagtest, wurden unsere gemeinsamen Erlebnisse aufgesogen - und zwar von ihm", er deutete auf die dunkle Gestalt, die immer noch ehrerbietig tropfend im Hintergrund ausharrte. "Jetzt kehren die Erinnerungen zu dir zurück, denn du brauchst sie für dein weiteres Leben."
Jung verstand: "Du bist eine Projektion meiner Konflikte, ein Traumbild meiner selbst."
"Falsch!", Emma hatte gesprochen. Sie konnte den Blick nicht von dem Alten nehmen, der ihr Herz sperrangelweit öffnete.
"Falsch", bestätigte der Alte. "Die Projektion bist du. Dein Leben ist mein Traum. Und heute hast du dir das Werkzeug verdient, um ihn zu verwirklichen. Du kannst mich verstehen", er schaute zu Emma hinüber, "aber nur sie kann mein Wesen durchdringen."
Jung war erleichtert: "Dann kehren wir heim, als Paar?"
"So ist es. Aber Vorsicht, die Geborgenheit, die du bei ihr suchst, die Rettung vor der Einsamkeit, wirst du nur bei mir finden. Verlier ihn nicht wieder, den Weg zu mir!"
So kehrten denn C. G. Jung und seine Verlobte Emma zurück nach Schaffhausen. Sie heirateten im nächsten Jahr, er begründete die Analytische Psychologie und sie blieben bis zu Emmas Tod zusammen …
… aber natürlich blieben sie nicht glücklich. Ein halbes Jahrhundert fortwährendes Glück findet niemand. Nichts in dieser Welt währt ewig, das weiß ich nur zu gut. Sein Leben lang litt Jung unter Erscheinungen; doch dieses Erlebnis versöhnte ihn soweit mit der Welt, dass er die beunruhigenden Bilder aus seinem Inneren zehn Jahre lang vergaß. Erst dann, er besaß jetzt die Kraft, den Trugbildern zu begegnen, drängten sie erneut hervor und bestimmten Leben und Werk des Gelehrten.
Deshalb mag ich die Geschichte. Und wegen der verschütteten Erinnerungen, die in dem Garten zutage traten.
Du findest das unglaubwürdig?
Jung sagte, er könne nur Geschichten erzählen; ob sie wahr wären, frage er sich nie, vielmehr ob sie seine Wahrheit erzählten.
Ihr setzt euch so gerne gleich mit eurem Bewusstsein, mit dem, was ihr wisst, wie beschränkt dieses Wissen auch sein mag. Aber als Jung sich selbst wiederbegegnete, da eröffnete sich ihm eine neue Welt. Aus diesem Wissen schuf er ein Leben voller Erfüllung und ein Werk mit Bestand.
Warum erzähle ich dir davon? Was du daraus lernen sollst?
Geboren werden macht alles erst einmal einfach. Begierden wollen befriedigt werden; das entscheidet über Freude und Frust. Es gibt kein Morgen und kein Gestern. Doch mit dem Verstand wächst die Sorge. Das Morgen fordert schon heute seinen Tribut, das Gestern quält uns noch mit vergangenen Lasten. Auch das Herz reift mit den Jahren. Wünsche entspringen ihm, nach tiefer Erfüllung und höchstem Glück. Mit jedem Jahr entheben wir uns ein wenig der kindlichen Einfalt, streifen Scheuklappen ab.
Hätten wir in Kindertagen gewusst, was das Leben für uns bereithält, wie Peter Pan wären wir dem Erwachsenwerden entflohen; der Reife, der wir so dringend bedürfen.
Und trotzdem glaubt ein jeder Mensch auf Erden, das Heute wäre sein Gipfel und das Morgen würde keine neuen Niederlagen und Einsichten bereithalten.
Und trotzdem glaubt ein jeder Mensch auf Erden, mit dem Tod ende alles Lernen und Streben.
Weit gefehlt. Jungs Erlebnisse sind wahr. Jedes Wort!
Wach auf! Das will ich dir sagen.
Jung tat es, als er durch den Rheinfall sprang, Dornröschen hat es nicht geschadet und auch Schneewittchen wird dir nur Gutes darüber erzählen.
Wach auf, bevor es zu spät ist.
Für mich ist es zu spät!
Das Leben endet mit dem Tod, aber diese Geschichte möge damit beginnen: Mit meinem Tod.
Viele Probleme löst der Tod allein dadurch, dass wir Abstand vom Leben gewinnen. Ich bin jetzt zufriedener als je zuvor, aber ich bin gestorben, die Welt ist mir genommen.
Mein Tod wirft viele Fragen auf, die jetzt einer Antwort harren, denn manche Frage, die das Leben aufwirft, klärt sich erst mit dem Tod. Und die Antwort auf manche Frage findet sich in der eigenen Erinnerung. Wir alle brauchen Erinnerungen, damit wir nicht vergessen, wer wir sind.
So erzähle ich euch die Geschichte meines Todes. Aber sie beginnt nicht mit mir, sie beginnt mit etwas anderem, einer verlorenen Seele. Einer Seele, die einen neuen Anfang braucht. Um meine Geschichte zu erzählen, müssen wir einen elenden Ort aufsuchen, einen Ort, wo gestrandete Seelen landen: die Alte Kaiser Stadt …