Esra Kaufmann ließ den Lautsprecher des Verhörraums knacken. Ein bewährter Trick. Der Verdächtige zuckte hoch und starrte verquollen in die Kamera. Esra ließ ihn schmoren. Nach einer Minute verlor sich der Alte wieder in Apathie.
Der Beamte erhob sich und zog die Krawatte zurecht. Sein Schützling war gargekocht. Gemächlich schritt er über den Flur zum Verhörzimmer. Mehrere Sekunden behielt er die Klinke niedergedrückt, bevor er die Tür energisch aufschob. "Friede sei mit dir."
"Er sei mit dir", antwortete der Palästinenser mechanisch; dann stockte er und senkte den Blick.
Der Anflug eines belasteten Gewissens, Esra ließ sich seine Befriedigung nicht anmerken. Geschäftig setzte er sich dem kümmerlichen Alten gegenüber und sortierte die Akte auf dem Aluminiumtisch.
"Thabit, israelischer Staatsbürger, ein Sohn. Wohnhaft in Silwan, im Osten Jerusalems. Seit …?"
"1973", half der Angesprochene hektisch. "Aus Jordanien stammen wir."
Der Beamte schwieg ihn an. Zu viele Worte wären imstande, die Dunstglocke der Furcht aus dem Verhörraum zu vertreiben.
"Im religiösen Mittelpunkt der Welt wollten wir leben", schluckte Thabit. "Und eröffneten ein Geschäft."
Der Mittelpunkt der Welt. Pah. Noch ein Islamist. Ohne sie und die orthodoxen Juden lägen weniger Tote auf den Straßen. Esra nickte freundlich. "Im Wohlstand leben Sie, handeln mit Juden und ihresgleichen, in Israel und dem Westjordanland."
Der Alte wagte nichts zu erwidern.
"Worüber plaudern Sie denn mit Ihren jüdischen Freunden?"
"Geschäftsfreunden", verbesserte Thabit schnell. "Ich führe Rechner und Smartphones aus aller Welt ein, wie vorgeschrieben über jüdische Zwischenhändler. Und verkaufe palästinensische Güter, Nahrung und Textilien an euch."
Euch. "Und Fahrräder", ergänzte Esra wichtig. Eine Akte hatte er aufgeschlagen und blätterte darin herum. "Das Dossier behandelt ausführlich Ihre innige Beziehung zu israelischen Geschäftsleuten." Wie ein Skalpell schnitt das letzte Wort in Thabits Haut.
"Ich handle mit Juden, geselle mich aber nicht zu ihnen", stotterte er. "Oft schwanken sie in ihrem Glauben."
Diese muslimische Ratte! Mit einem Urteil über den Glauben anderer war er rasch zur Stelle. "Zigarette?"
Dankbar nahm der Palästinenser den Glimmstängel und das dargebotene Feuer.
Esra sog den Rauch ein. "Ich vermisse es, habe kürzlich aufgehört. Eine Sonderabteilung für Wirtschaftskriminalität verfolgt Ihre Geschäfte seit Jahren." Er blätterte in der fetten Akte herum. Zwischen lauter leere Seiten hatte er die Tageszeitung von heute geklemmt. Von außen platzte die Akte wie die Schuld des Delinquenten aus allen Nähten. "Unlautere Geschäfte?"
Schnapp! Jeder Kaufmann fürchtete die Steuer, jeder hatte etwas zu verbergen. Eigennutz war ihr Geschäft. Der Polizist ließ sein Opfer köcheln, strickte weiter an seiner Legende. Thabit war nicht sein erster Kunde. Anfänger sprachen meist zu viel. Seine eigene Angst musste den Alten überzeugen. Dann würde er die Geschichte verinnerlichen, in seinen Alltag einbauen. Jedes Schreiben, jedes Gerücht, jede zufällige Geste aus seiner Erinnerung würde sich für Thabit in einen Beweis verwandeln: Seit Jahrzehnten überwachen sie mich. Sie wissen alles!
"Ihre Fuhre vom letzten Montag …"
"Die Fahrräder für Nablus. Israelische Fertigung aus Tel Aviv."
"Natürlich." Pause. "Sie waren unversteuert. Nicht zugelassen für den Transport in die besetzten Gebiete." Esra vermied den ungeliebten Begriff: Palästinensisches Autonomiegebiet.
Hörbar atmete der Alte auf. "Damit ist alles in Ordnung. Die Papiere sind von Ihrem Ministerium gegengezeichnet."
Ihrem Ministerium. Esra blätterte weiter in der leeren Akte. "Dem Bericht müsste eine Kopie der Überführungsdokumente beiliegen." Er hob die Brauen. "Tatsächlich, hier ist sie." Der Polizist zog die letzte Rechnung seines Zahnarztes hervor. "Sie haben recht. Offenbar ist uns ein Fehler unterlaufen. Das ist mir äußerst unangenehm. Danke für Ihre Mitarbeit. Sie können gehen."
Misstrauisch erhob sich Thabit. Ein halbes Leben Gängelung durch die Behörden hatten ihre Spuren hinterlassen.
"Sobald du mir erklärt hast, wie du 1973 innerhalb eines Jahres die israelische Staatsangehörigkeit ergaunern konntest!"
Ein Schuss ins Blaue, aber ein Blattschuss, der den Alten zurück in seinen Verhörstuhl trieb. Er bemühte sich nicht mal, seine Schuld zu verbergen. "Die Einbürgerungsurkunde liegt Ihnen sicherlich vor. Keine Fälschung", erwiderte er kraftlos.
"Der Beamte war dir sicherlich gewogen."
Thabits Schuld stand ihm ins Gesicht geschrieben. Was für ein Waschlappen. Bestochen hatte er wie Tausend andere. Keine Untersuchung der Welt hätte das nach all den Jahrzehnten aufgedeckt. Trotzdem gebärdete er sich wie eine Ratte in der Falle. "Nicht zu vergessen, die Hilfe deiner einflussreichen Familie. Wie gedenkst du, deine Schuld an Israel zu tilgen?"
Thabit sank in sich zusammen. "Das habe ich längst. Meine Familie gab in der Not aus reinem Herzen. Sie half mir und meiner Frau, in Jerusalem Fuß zu fassen - über dunkle Kanäle, zugegeben. Doch redlich waren ihre Forderungen, als wir uns eingelebt hatten. Mit welchem Recht hätte ich sie abschlagen sollen, die Gefallen? Gefallen über Gefallen."
Thabit entstammte einer einflussreichen Sippe. Viel wert in Palästina. Mit ein wenig Korruption hatte seine Familie ihm in den Siebzigern geholfen, schneller in Jerusalem ansässig zu werden. Nicht der Rede wert, für Esra jedoch eine Gelegenheit, Druck auszuüben. "Willst du in Jerusalem bleiben? Ich könnte das garantieren. Was bist du deinen Landsleuten noch schuldig - und wie viel mehr Israel, deiner hinzugewonnenen Heimat?"
"Jerusalem!", spuckte der Alte aus. "Ein Traum wurde zum Albtraum. Jeder hier trägt Gott in seinen Worten, doch keiner befolgt seine Gesetze. Einen Batzen Geld beten sie lieber an. Wie konnte diese Stadt zum Moloch werden?"
Ein Judenhasser, wie alle Araber. Und alle plapperten die Legende des geldgierigen Juden nach. Die Worte erschütterten den Polizisten nicht. Dieser Mann bastelte keine Bomben und ermordete keine Juden. Seine verqueren Ansichten schadeten niemandem. Seinen Wert jedoch für das israelische Volk konnte er noch beweisen. Der Hebel dazu lag in der Schublade vor ihm. Esra öffnete und griff nach einer weiteren Akte, der wahren Akte, prall gefüllt mit einer Geschichte; einer Geschichte voller Zündstoff.
"Nicht mit jedem, der seinen Weg kreuzt, muss ein Kaufmann handeln. Doch will er seine Familie ernähren, darf er nicht wählerisch sein. Mit Palästinensern handelst du, redlichen und niederträchtigen. Und mit Juden handelst du, redlichen und niederträchtigen. Wie war es, mit dem Teufel ins Bett zu gehen, mit Menschen, die deinesgleichen vernichten wollen?"
Thabit sackte in sich zusammen. "Ein schrecklicher Fehler. Doch er ist verbüßt."
Allerdings! Das stand in der Akte und deutlicher las Esra es in der Miene des Alten. Mit radikalen Juden hatte Thabit gehandelt. Die jüdischen Siedlungen wurden zum Nährboden für Fanatiker. Sie beabsichtigten, alles zu zerstören, was muslimisch war im Heiligen Land, mit allen Mitteln. Der Geheimdienst hatte alle Hände voll zu tun, ihren Wahnsinn zu stoppen. Einen Krieg sollte ihr Terror heraufbeschwören, den die Regierung zu verhindern trachtete. Und der alte Thabit war ihnen auf den Leim gegangen. Das hatte ihm einige Nächte im Gefängnis eingebrockt. Sein Sohn war von der Universität geflogen, die Handelslizenz hatte Israel ihm entzogen. "Vor achtzehn Monaten warst du ruiniert, wie konntest du dich so schnell berappeln?"
"Meine Familie, mein Neffe glaubt an mich." Stolz triefte aus den Worten des Alten.
Thabits Clan, sein größter Trumpf. In Palästina, im ganzen verdammten Nahen Osten, ging nichts ohne die weitverzweigte Familie. Nach dem Tod des Scheichs, des mächtigen Clanoberhaupts, in einem Jerusalemer Gefängnis, trat dessen Sohn seine Nachfolge an. Und der liebte Thabit, seinen entfernten Lieblingsonkel, über alles.
"Mein Neffe würdigte, wie die Juden mich und meine Familie drangsalierten. Das besänftigte meine Gegner, die mir Verrat vorgeworfen hatten. Mein Geschäft baute ich wieder auf. Ich handle mit Gläubigen, ich handle mit Ungläubigen, mein Brot teile ich mit Ungläubigen, aber nicht ihre Ziele! Rein bleibt mein Gewissen."
Lüge! Ein Schatten lauerte hinter seinen frommen Worten. Esra spürte ein Geheimnis auf Thabit lasten, einen Schmutzfleck auf dessen Seele, nebelhaft. Der Israeli schnaufte. Gläubige jeder Fasson wissen allzu leicht zwischen Heiligen und Unheiligen zu unterscheiden, schnell fühlen sie sich den Unheiligen überlegen. Bis sie sich fragen: Warum hat Gott sie erschaffen? Als Prüfung? Ist es unsere heilige Pflicht, sie von der Welt zu tilgen? Radikale Muslime krochen aus allen Ecken der Welt hervor, töteten, zerstörten, massakrierten. Diesen Glaubensbruder hier würde Esra für seine Zwecke einspannen.
"Willst du in Jerusalem bleiben?", wiederholte der Polizist.
Das war Erpressung. Abwehrend hob Thabit die Hände. "Quälen können Sie mich, verstoßen, ruinieren. Aber wozu? Mein Einfluss ist gering, jeder weiß um meine Geschäfte in Ost und West, niemand weiht mich in seine Geheimnisse ein, Geheimnisse kümmern mich nicht. Wieso drohen Sie mir, einem unbescholtenen Mann? Wie will ich in diesen Zeiten meine Ehrlichkeit beweisen? Und warum muss ich das überhaupt? Wir alle sind gleich vor Gott. Was, wenn ich Sie zwänge, Ihre Familie zu hintergehen?"
Esra krempelte seinen Hemdsärmel nach oben und öffnete das speckige Lederarmband seiner Uhr. Fast zärtlich schob er den Chronographen in seine Hemdtasche. Unter seinem Schweigen sank Thabit in seinem Stuhl zusammen. Innerlich lachte der Beamte. Ein gläubiger Mann, unfähig zur Sünde, stark und unabhängig. Töten konnte man ihn. Töten, aber niemals brechen. Wann lernten diese frommen Spinner, zwischen Gewissheit und Wahrheit zu unterscheiden? Zwischen Glauben und Wissen.
"Abu Towbi, ein ehrbarer Mann sind Sie, fürchten Gott und achten seine Gesetze, in der Gewissheit, im Jenseits dafür belohnt zu werden. Am Unglauben der Welt vermögen wir nicht zu rütteln, aber ein Beispiel können wir geben und den Verfehlungen der Schwachen widerstehen, nicht wahr?"
Thabit nickte überrascht.
Esra schnellte vor, entriss dem Alten die Zigarette und rammte die Glut auf dessen Handrücken. Die Schreie und Tränen überging er. Mit einem Satz über den Tisch stieß er auf das Männlein hinab, bohrte sein Knie in dessen Schoß und spuckte ihm ins Gesicht. Er roch die Angst des Alten, der wimmernd zusammensackte. Lohn im Jenseits. Pah!
"Du bist ein Fundamentalist. Aus Fanatikern besteht deine Familie und deine Nachkommen werden zu Terroristen herangezüchtet! Doch das werde ich zu verhindern wissen, mit oder ohne deine Hilfe, Abu Towbi." Er benutzte die vertrauliche arabische Anrede, in welcher der Vater mit "Abu" und dem Namen seines erstgeborenen Sohnes angesprochen wird. Die Drohung darin war unverkennbar. "Niemand wird mehr Sprengstoffgürtel bauen aus Waren, die du vertreibst."
"Wie soll ich das verhindern?", jammerte der Alte. "Aus allem können sie Sprengsätze zusammenbasteln. Aus Nägeln, aus Benzin, aus Reinigern. Was kann mein Towbi dafür? Ich lebe noch, weil ich hinter meiner Familie stehe, auch wenn ich mich an keinem Terror beteilige."
"Dein Sohn Towbi studiert wieder. Psychologie. Wieso nicht Maschinenbau? Was für eine Schande, ein Verlust für Palästina. Möchtest du ihn retten, retten vor mir? Dann besuche deinen Neffen, biete ihm deine Hilfe an, deine Hilfe im Kampf gegen den jüdischen Erzfeind."
Thabit zitterte. Die funkelnden Augen des Polizisten nahmen seinen Blick gefangen. "Ich kann nicht."
Stille.
"Du kannst nicht? Du musst! Hunderte haben es getan, Tausende. Palästina ist ein Volk von Spitzeln. Rette deinen Sohn! Beschere deiner Familie Wohlstand und Sicherheit. Für uns zählen nur Gewalttäter. Wir retten Menschen auf beiden Seiten, ehrbare Palästinenser bleiben unbehelligt."
Der Alte rutschte zu Boden. Rotz lief sein Gesicht hinab. "Ich kann nicht", wimmerte er. "Was immer Sie mir antun. Ich kann nicht."
Wie konnte dieser Abschaum es wagen, nicht zu brechen? "Du gestehst es: Deinen Pass hast du unrechtmäßig erworben!"
Der Alte nickte.
"Und mit jüdischen Fanatikern hast du gehandelt?"
Stummes Nicken.
"Und deine Familie beherbergt Terroristen und unterstützt den Kampf gegen Israel!" Die Antwort wartete er nicht ab. Thabit war so weit. "Ich bin deine letzte Hoffnung. Willst du mich verlieren?"
"In Gottes Hände lege ich mein Schicksal."
"Vor mir wird dich dein lächerlicher Glaube nicht bewahren!"
"Darum lasst den Gläubigen sein, der will, und den Ungläubigen sein, der will."
Der Alte zitierte Sure achtzehn. Esra richtete sich auf und stemmte den Fuß in die Kehle seines Opfers. Dann öffnete er eine Schublade des Verhörtischs und angelte nach einem Baumwollsack. Den stülpte er Thabit übers Gesicht, ohne Gegenwehr.
Ein Krug mit Wasser stand bereit. Esra tröpfelte es gleichmäßig auf das Tuch, das sich sofort vollsaugte. "Siehe, wir haben für den Frevler ein Feuer bereit. So wird ihnen geholfen werden mit Wasser gleich geschmolzenem Blei, das die Gesichter verbrennt. Den Koran kenne ich, dein heiliges Buch. Atme flach und bedenke: Nur ein Gefühl des Ertrinkens erzeuge ich. Alles Schein, man nennt es weiße Folter. Dein Sohn, der Psychologe, kann es dir besser erklären. Aber Vorsicht, dass nicht zu viel Wasser in die Lungen rinnt."
Thabit hustete und spuckte.
"Tee gefällig? Was du hörst, ist der Wasserkocher. Die Amerikaner haben das Foltern eingestellt, zumindest behaupten sie es. Wir haben immer gefoltert, wie du weißt. Keine sicherer, aber ein gebräuchlicher Weg, an Geheimnisse zu gelangen. Ich darf dich schlagen, dir in die Eier treten und dich nackt über den Innenhof prügeln. Scham ist eine arabische Volksneurose. Israel ist umzingelt von Feinden, allein, dass wir noch leben, erteilt jeder unserer Taten Absolution. Schrei ruhig, niemand wird dich erhören." Mit diesen Worten goss Esra Kaufmann kochendes Wasser über die Kapuze. Der Schall trug die Schreie seines Opfers durch die Flure.
"Niemals wirst du deinen Sohn wiedersehen." Esra drückte den heruntergefallenen Zigarettenstummel auf dem Tuch aus. Obwohl er nie geraucht hatte, bezeichnete er Zigaretten gerne als lästige Angewohnheit. Die Glut fraß sich in Thabits Haut. Trotzdem erlahmten seine Schreie.
"Ein Wort", flüsterte ihm Esra ins Ohr, "und ich beende es."
Thabit schwieg.
"Hörst du das, Abu Towbi?", flüsterte er weiter. "Nein? Meine Armbanduhr. Aber ihrem Ticken kannst du nicht lauschen, denn sie steht still. An dem Tag, an dem sie aussetzte, blieb auch mein Leben stehen. Was für ein Segen. Vor Bestechung, Erpressung und Folter schützt sie mich. Denn was wollen sie mir nehmen, was wollen sie mir bieten, wo mir alles gleich ist? Du hast mir widerstanden, ich achte das. Wir sind uns ähnlich in unserer Kraft, aber für meine Stärke brauche ich keinen Gott. Weder den der Juden, noch deinen. Zur Belohnung lasse ich dir dein Geheimnis. Hüte es weiter für deinen Gott."
Der Alte röchelte. "Meine Bürde lässt du mir und erwartest Dank dafür? Du hast mich vernichtet, so geht das Geheimnis mit mir zugrunde. Gott belohnt und Gott straft, wie es ihm beliebt. Wir Gläubigen sind Spott und Hohn der anderen. Willkommen heiße ich den Tod, mehr als dahinzuvegetieren. Nimm die Last von mir! Wende dich nicht ab von meinem Leid. Lass mich wieder zu Erde werden!"
Esra war nicht sicher, wem die Worte galten. Religiöser Spinner! Er nahm ihm die Kapuze ab. Thabits Gesicht leuchtete in ungesundem Rosa, die Augen zugeschwollen. Hilflos tastete der Alte umher; ein Häufchen gottgläubiges Elend.
Dieser Thabit. Seinen Pass hatte der Alte ergaunert. Wenig kümmerte es ihn, was mit den Waren geschah, mit denen er handelte. Und an jüdische Fanatiker war er geraten, leichtsinnig. Nichts, was man ihm ernsthaft anlasten konnte, dem kleinen Mann. Nichts, was den Geheimdienst kümmerte. Aber ein letztes Geheimnis hatte Esra ihm nicht entreißen können, ein Geheimnis, das Thabit mit aller Kraft schützte. Lohnte es nachzubohren? Vermutlich nicht. Als palästinensischer Spitzel war Thabit ungeeignet, zu alt. Junge Menschen waren leichter zu manipulieren, gierten nach Besitz, Sex und Anerkennung. Oder danach, sich gegen Erwachsene aufzulehnen. Thabits Sohn wäre ein Kandidat.
Auf dem Weg in sein Büro rieb Kaufmann sich die geschwollene Handfläche, beim Foltern hatte er sich verbrannt. Ein Kollege bemerkte es.
"Hast du wieder jemandem deine Uhr gezeigt?", lachte der. "Hättest besser die andere Hand genommen."
Esra zog seinen Ärmel über den Handschuh an seiner Rechten. Auf seine Prothese wurde er nicht gerne angesprochen, aber wie immer nahm sein dreister Kollege keine Rücksicht. "Hast du den Alten mit der Hakenhand gewürgt? Ich hab dir gesagt: Bei dem ist nichts zu holen. Seine Familie verheimlicht ihm die heiklen Geschäfte."
Esra brummte unwirsch. "Er trägt etwas mit sich herum, aber ich konnte ihn nicht knacken und lasse ihn laufen. Bedrohung ist er keine." Wie so viele andere, die in israelischen Gefängnissen schmorten.
"Aber seine Landsleute bedrohen uns, auf der Suche nach Rache." Der Kollege zeigte wenig Anteilnahme. "Du folterst den Falschen. Neunundneunzig Mal lagst du richtig, und darum ängstigst du ein Mal im Jahr einen armen Hund zu Tode; ohne Ertrag. Kommt er auf die Beine?"
"Verbrühungen. Auch an der Hornhaut, sollte er die Augen nicht rechtzeitig geschlossen haben. Es wird heilen."
"Meistens tut es das."
Lässt euch vor Angst erbeben
Sein Rätsel eure Ohnmacht offenbart
Die Kraft, die euch dereinst gebar
Verjagt euch aus dem Leben
Ins Licht, das König Tod für euch bewahrt«