"Ich dachte, nur diese zarten Bänder halten dich zusammen, und plötzlich stoße ich auf einen Reißverschluss." Er ließ die azurbestickten Seidenbänder durch seine Finger gleiten.
Lachend drehte sie sich zur Seite, damit er ihr Kleid am Rücken lockern konnte. Näher kam sie ihm dabei als je zuvor. "Die Bänder dienen nur Dekoration, wie die Taschen an deinem Sakko. Unser Auge sehnt sich nach Täuschung."
"Und die Hände verzweifeln daran", lamentierte er. Doch sein Schritt, der sich an ihre Hüfte drückte, verriet Samira, wie sehr er die Rangelei genoss.
Ächzend ließ Mohammat sich auf sie fallen und vergrub Reißverschluss und Hände unter ihren Leibern. Prustend kam sein Gesicht auf ihrem Nacken zur Ruhe. Ihr Bukett aus Schweiß und Lavendel raubte ihm die Sinne. Samira lachte Tränen und drehte sich, um einen Teil seines Gewichts der Matratze aufzubürden.
Ihr Glück überstrahlte jedes Make-up, ihr zerzaustes Haar machte sie noch begehrenswerter. Eine erwachsene Frau frisch erblüht.
Mohammat machte sich, allmählich hektischer, an ihrem Verschluss zu schaffen. "Du musst mithelfen, sonst krieg ich dich nie rausgepellt. Wir hätten vorher üben sollen."
Sie zog die Hände aus seinem Kaschmirhemd und legte die Arme an, damit er das Kleid über ihre Schultern nach unten ziehen konnte. Der Kragen stupste gegen ihr neugierig gesenktes Kinn. "Die Braut vor der Hochzeit beschauen? Deine Mutter wäre gestorben."
"Deswegen? Immerhin den Stehkragen haben wir ihr zugestanden. Was hätte es geschadet, wenn ich deinen Alabasterkörper vorgestern zur Probe aus dem Kleid geschält hätte?" Er zog ihren Oberkörper aus der Fülle von Tuch, Spitze und Bändern. Mit dem BH tat er sich leichter.
"Der Kragen rettete Mutter das Leben. Den ersten Herzinfarkt erlitt sie, als ihr klar wurde, wie viel Bein das Hochzeitskleid frei lässt."
"Diese Beine durfte ich der Welt nicht vorenthalten. Nicht heute! Den Preis musste sie zahlen, um eine Tochter zu gewinnen."
Seine Hände strichen ihre Beine entlang, begierig erkundete seine Zunge die neuentdeckten Brustwarzen. Ihre Hand strich über seinen Nacken. Stöhnend drückte sie den Rücken durch. Welch anmutiges Geschöpf rekelte sich da in seinen Armen. Es folgte ihr erster erotischer Kuss als Mann und Frau. In diesem Augenblick war Mohammat ihre ganze Welt. Er genoss seine Macht. Fern der Straßenlärm des nächtlichen Ramallahs. Fern die verlorenen Jahre im Gefängnis, die eine Brautschau so lange hinausgezögert hatten. Fern die Bindungsängste.
"Du hast eine Fahne", flüsterte sie nach dem Kuss vertraut. "Zu viel Taybeh?"
"Solltest du dir gleich wünschen, der Augenblick möge ewig fortdauern, wird das Bier zu deinem Verbündeten. Ohne diese Bremse wäre ich längst über dich hergefallen."
Samira kicherte. "So spricht ein Mann von wahrer Liebe, wie Gott sie einst über seine Getreuen ausschüttete."
Mohammat ließ seine Finger über ihren Nabel zum Venushügel hinabgleiten. Entschlossen war er, die letzten Gefilde zu erobern. "Keine Spuren von sich hat dein Gott in seiner Schöpfung hinterlassen. Das Göttliche ist nur eine Erfindung des Menschen, vielleicht die verhängnisvollste. Die überwältigendste ist Liebe!"
Mohammats Hand wanderte unter ihren String, sein Mittelfinger drang tiefer. Sie küsste ihren Ehemann, ließ die Zugbrücke hinunter und gewährte ihm Einlass. Spöttisch hob er eine Braue.
"Ich habe es gebeichtet: Keine Jungfrau heiratest du."
"Und du kein Landei, das seine fünfzehnjährige Cousine um die Ehe bittet, um endlich Sex haben zu können. Weniger Blut, weniger Schmerz. Gut so! Nichts daran reizt mich. Selbst, wenn der Prophet uns das Gegenteil lehrt. Worauf verstehst du dich denn so?", fragte er forsch.
Jetzt senkte Samira doch verschüchtert die Augen, ganz im Widerspruch zu der Erregung, die Mohammat in ihr weckte.
Er grunzte: "Entspann dich, meine Blume. Es würde mich wundern, hätte dir ein Mann je einen ordentlichen Höhepunkt verschafft. Zwar kann ich dir heute Nacht keinen garantieren, aber eine wundervolle Zeit miteinander. Für mehr müssen wir lernen, aufeinander einzugehen." Gelassen streckte Mohammat sich seitlich auf dem Laken aus, seine Finger forschten weiter. Dabei versuchte er angestrengt, seiner Erektion Herr zu werden. Kichernd knöpfte sie seine Hose auf und verschaffte allem darin den nötigen Freiraum.
Genießerisch sog er die Luft ein: "Nur mit einem Ohr gehorcht er meinem Willen, genau wie du."
Samira schmollte, ermunterte ihn aber fortzufahren. Eine Weile fiel kein Wort.
"So sind wir also verheiratet, mein Stern."
"Endlich", vollendete Mohammat.
"Was träumt ihr Männer vom Sex und redet von der Ehe."
Er küsste ihren Nacken. "Wir reden von Wärme, Nähe, Vertrauen. Und ja, Orgasmen."
"Das ist alles, was die Menschen Liebe nennen?", fragte Samira, den Blick zur Decke gerichtet.
"Es ist, was alle sich wünschen, und mehr, als mancher je erfährt."
Ihr Höschen war ziemlich weit hinabgerutscht und so zog Samira seine Shorts hinunter bis zu den Knien. Sein Glied gefiel ihr ausgesprochen, doch würde sie sich daran gewöhnen müssen. Wie kamen Männer bloß mit dermaßen viel baumelnden Fleisches zurande?
"Und wenn ich dir einen Orgasmus vorspielte, wäre das ein Liebesbeweis oder ein Vertrauensbruch? Wie würde der Imam urteilen?"
Lachend drehte Mohammat sie auf den Rücken. "Die Moral der Imame reicht so weit wie ihr Geist. Ein Tyrann könnte ich sein, einerlei, würde ich nur fünfmal am Tag zu ihrem Gott beten."
"Wie deine Eltern?"
"Die kümmert nur, was die Nachbarn denken." Er zog sich die Hose ganz hinunter. "Und erwähne nicht ständig meine Eltern, sobald es prickelnd wird. Das kann den Sex ziemlich in die Länge ziehen. Oder hast du das ausgeklügelt, Luder?" Mohammat zog ihr Kleid die Beine hinab und fluchte, als es sich an ihren Unterschenkeln verfing. "Zum Teufel mit dem ganzen Tüll. Was tut ihr Frauen uns an?"
Zwar war es unbequem, aber er konnte sich nicht länger beherrschen und sie bekam die Beine gespreizt. Gespannt ließ Samira ihren Mann eindringen, genoss seine Berührung, seine Stärke und seine Geilheit. Mohammats Stöße tilgten ihr Gestern und ihr Morgen. Er liebkoste sie, küsste sie und als er explodierte, verlosch Samira in seinen Armen …
Sex ist vielleicht nicht die Wahrheit, überlegte sich Mohammat, aber jedermann wünscht, er wäre es. Ineinanderverschlungen lagen sie da, Samira träumend in seinen Armen, er berauscht von den Endorphinen in seinem Blut. Mohammat bot ihr seine Verletzlichkeit wie selbstverständlich dar. Und sie? Wie viel hatte Samira von sich preisgegeben?
Zögerlich drang ihre Stimme durch den Nebel seiner Empfindungen: "Das Ende der Freiheit, beginnt es jetzt? Habe ich mich ab heute den Anforderungen der Gesellschaft zu beugen?"
"Zu was sollte sie dich zwingen, die Gesellschaft, meine Blume?"
"Hausarbeit, Folgsamkeit, Pflicht. Dem Alltagstrott."
"An meiner Seite wird dir nichts davon zur Last", beruhigte er sie leichthin. "Warte, bis ich dir unseren ersten Sohn schenke."
"Das nennen die Menschen Liebe?", wiederholte sie. Der Zweifel fraß sich durch ihre Worte und fing seinen dösenden Geist ein. Mit zwei Fingern griff er nach Samiras Kinn und drehte ihren Kopf in seine Richtung: "Wir suchen unser Glück - gemeinsam. Und gemeinsam ertragen wir die Antwort des Schicksals. Möglichst ohne zur Plage zu werden für unsere Mitmenschen. Was mehr bleibt uns?"
Sie gluckste und er spürte dabei ihre Brust in seiner Hand hüpfen: "Die Antwort eines Gutmenschen."
So hörte Mohammat sie nicht gerne reden. "Für eine Belohnung im Jenseits kann jeder ein untadeliger Mensch werden. Was kümmert mich Gottes Urteil? Nur die Meinung des Mannes vor mir im Spiegel zählt." Er küsste sie auf den Scheitel. "Und deine."
"Aber uns beide kannst du belügen, Gott nicht."
"Aus Überzeugung will ich menschlich sein."
"Gelingt dir das, Mohammat, mein Stern?" Wie fremd ihre Stimme mit einem Mal klang.
"Bei dir ja."
"Kann man zu unterschiedlichen Menschen unterschiedlich menschlich sein?"
"Man muss, meine Blume. Kein anderer wird für unser Glück kämpfen, wenn nicht wir selbst."
Samira drückte seinen Arm zur Seite und setzte sich auf im Bett. Mohammat bewunderte den Ansatz ihres pfirsichförmigen Hinterns und wünschte, sie möge sich weiter recken. Doch griff sie nur nach einer eigens bereitgelegten Schneiderschere und begann, einige Nähte ihres Hochzeitskleides aufzutrennen, ohne auch nur eine Endlosfaser der Seide zu verletzen. Das Gewebe hatte sich während des Liebesspiels schmerzhaft um ihre Oberschenkel gewunden. Aufreizend schüttelte sie sich, sobald er begann, sanft mit dem kleinen Finger ihren Rücken entlangzustreichen, blieb aber bei der Sache.
"Du bist zu klug für die Gottesfurcht, die du manchmal an den Tag legst, Samira. Religion zwingt uns ein Verhalten auf, das unser wahres Wesen unterdrückt. Kein Jenseits, wo wir endlich wir selbst sein können. Jetzt und hier - oder nie."
Hell lachte sie auf. Nicht wie Vogelgezwitscher, sondern wie ein Gebirgsbach, der ins Tal rauscht. Es verzauberte ihn jedes Mal. "Ich fürchte Gott nicht, mein Gemahl, ich verachte ihn. Und glaub mir, mein wahres Wesen willst du nicht erfahren."
"Wer, wenn nicht dein Ehemann?" Er strich über ihr nachtschwarzes Haar, griff nach ihrer Schulter. Sehnte sich nach ihren Augen, ihrem Lächeln, ihrem Schoß. Doch blieb sie in das Hochzeitsgewand vertieft. Was hatten Frauen bloß mit ihren Kleidern? Erneut regten sich seine Lenden.
"Ich kenne dich, Mohammat, mein Gemahl." Was für eine Stimme? "Keine Stunde hat es gedauert, dich zu durchschauen. Gott würdest du nicht mal erkennen, wenn er dir auf den Kopf scheißt. Gerne würde ich deinen Schwanz besser kennenlernen, aber nicht dich. Dein Umfeld dirigierst du nach Belieben, aber dein Blick reicht nicht weit und deine Gedanken nicht tief. Einer wie Tausend bist du, nicht mehr."
Mohammat stutzte. Was redete sie? Einer ihrer verschrobenen Scherze? Samira reckte sich, ihm weiterhin den makellosen Rücken zugewandt. Ihre Stimme entführte ihn wie ein Schlüsselreiz, doch ihr Plauderton drang nicht in sein Hörzentrum.
"Wollte ich die Welt befreien von einfältigen Opportunisten wie dir, keine ruhige Minute bliebe mir. Doch habe ich mich in dich verliebt. Unabsichtlich."
Die nüchterne Liebesbekundung rührte Mohammat mehr als jede romantische Geste. Träge, wie bei einem Schlafwandler, folgten seine Pupillen der Spitze der Schneiderschere, bis sie seinem Blick entschwand und sich in seine Halsschlagader bohrte. Seine Augen suchten die ihren, doch prallten zurück vom Hass. Warmes Blut spürte er seine Brust hinabrinnen, aber keinen Schmerz. Nichts hörte Mohammat mehr, als sein flatterndes Herz. Der Augenblick schien an ihnen zu kleben. Die Frischvermählten kamen zur Ruhe.
Dann zog Samira die Schneide aus der Wunde.
"Mystiker hättest du werden sollen, das hätte dir das Leben gerettet."
Rauschen. Kreislaufzusammenbruch. Stille.
"Geh voran, mein Stern!"
Ihren Kopf hatte Samira, die Augen geschlossen, auf die Brust ihres Mannes gebettet. Haut und Haare waren blutverschmiert, von dem Kleid hatte sie sich befreit. Sie summte eine alte Weise und wippte mit dem Fuß dazu. Allmählich wurde ihr kalt.
Sie hob die Lider und schaute sich um. Die Schere hatte die Hochzeitssuite in ein Schlachthaus verwandelt. Trauer verjagte die Entspannung. "Gott belohnt und Gott straft, wie es ihm beliebt." Mit diesen Worten schloss Samira die Augen ihres Mannes.
Sie senkte den Kopf. Da lag etwas auf dem heruntergerutschten Laken. Sie bückte sich und hob die Schere auf. Tränen liefen ihre Wangen hinab. Sie hielt sich die blutigen Schneiden an die Kehle und schluchzte: "Wir Gläubigen sind Spott und Hohn der anderen. Willkommen heiße ich den Tod, mehr als dahinzuvegetieren. Nimm die Last von mir! Wende dich nicht ab von meinem Leid. Lass mich wieder zu Erde werden!"
Bange Sekunden vergingen. Samira schloss die Augen und dachte an ihren Vater. Sein einziger Nachkomme einen ehrlosen Tod gestorben. Was für eine Schande. Minutenlang hielt sie die Schere umklammert.
Schließlich warf die junge Frau sie achtlos zur Seite und trat auf den Hotelflur, nackt und blutig. Ein letzter Blick zurück auf die Liebe ihres Lebens.
"Da hast du mir eine schöne Last aufgebürdet, mein Stern. Wegen dir werden sie mich eine Mörderin nennen."
Ihm ewig zu entfliehen
Nach Hause ins verlorne Paradies
Dein Albtraum wär nie ausgeträumt
Vor Gott endlos zu knien
Ein sanfter Tod wär menschlicher als dies«
Von Fülle, Leere, Strafe
Für Klarheit bietet Morpheus keinen Raum
- doch so war mein Traum«